Lehrveranstaltungsinformation Frühjahr 2018

  

 

KJL A und B

Nach einer Wiederholung zentraler Aspekte der Analyse narrativer Texte werden mindestens zwei Kinder- und Jugendbuchklassiker vergleichend mit ihren Verfilmungen analysiert. Dabei ist davon auszugehen, dass Literatur und Film jeweils verschiedene und eigenständige Bedeutungskonstrukte darstellen, die in einer intermedialen Referenzbeziehung stehen. U.a. die folgenden Aspekte werden behandelt:
Bedeutungskonstitution: In welcher Weise Film und Literatur jeweils medienspezifisch unterschiedlich ‚Bedeutung’ vermitteln und welche Bedeutungsverschiebungen bzw. gänzlich neuen Bedeutungen sich durch die Literaturverfilmung gegenüber dem Referenztext implizit/explizit ergeben.
Sinnkonstrukte: Welche Welt- und Gesellschaftsmodelle, Raumsemantiken, Grenzsetzungen, welche Normen- und Wertesysteme, Konflikte und anthropologischen Konstrukte (z.B. von Kindheit/Adoleszenz, Erwachsensein sowie von Gender, Identität und Alterität) vermittelt werden.
Kulturelle Kontexte: Im Rahmen welcher kulturellen und historischen Diskurse der literarische bzw. filmische ‚Text’ jeweils zu verstehen ist (z.B. im Fall einer heutigen Verfilmung etwa eines Erich Kästner- oder eines Märchen-Textes).

Formen des Erzählens

Die Herausbildung narrativer Modelle bzw. bestimmter Erzählformen ist an konkrete kulturelle Rahmenbedingungen gebunden und je in spezifischen Diskursformationen verortet. In einem kultursemiotischen Sinne fungieren diese daher wie alle medial überlieferten Produkte ästhetischer Kommunikation als kulturelle Speicher, die Aufschluss über Denken und Wissen der Kultur geben, die sie hervorgebracht hat. Die Veranstaltung widmet sich verschiedenen Formen des Erzählens und deren jeweiligen textuellen semantischen Funktionen im kulturellen Wandel. So ist nach einer Wiederholung zentraler Aspekte der narrativen Bedeutungskonstitution auf Histoire- und Discours-Ebene ein Überblick angestrebt, der ausgehend zunächst vom Strukturmodell des Höfischen Romans und der altnordischen Sagaliteratur über den barocken Schelmenroman, die aufklärungszeitliche Fabel, die Novelle und die goethezeitliche Bildungs-/Initiationsgeschichte Grundzüge einer Historischen Narratologie 1500-1800 am Beispiel kanonischer (und damit auch schultauglicher) Texte vermittelt.

Geschichte des internationalen Films

Diese 180-minütige Vorabendveranstaltung widmet sich ‚Klassikern’ der Filmgeschichte mit semesterweise unterschiedlichen historischen, kulturellen bzw. thematischen Schwerpunkten. Ziel ist nicht eine Kanonbildung künstlerisch besonders herausragender Werke, sondern ein Überblick über Filme, die das Medium oder ein Genre nachhaltig beeinflusst haben, die als repräsentativ für Entwicklungen und Tendenzen in der Filmgeschichte gelten können bzw. die in ihrer Zeit typische Diskurse/Themen verhandeln und inszenieren.
Im ersten Teil findet jeweils eine Filmsichtung statt – woraus sich die längere Veranstaltungsdauer begründet –, im zweiten Teil wird der Film gemeinsam analysiert und im Kontext relevanter kultureller Diskursformationen erschlossen sowie die Methode der semiotisch-narratologischen Filmanalyse exemplarisch eingeübt. Da hierbei stets ein Schwerpunkt auf dem Aspekt der expliziten/impliziten Normen- und Wertevermittlung durch filmische Botschaften liegen soll, ist diese LV insbesondere auch für Lehramtsstudierende geeignet. Studierende oder Gasthörer*innen ohne medienanalytische Vorkenntnisse sind willkommen, sollten aber bereit sein, sich parallel zur Veranstaltung basale Kenntnisse der Filmsprache anzueignen.
Thema sind in diesem Semester internationale Filme der 1970er Jahre, also einer Zeit, in der die in den 1960er Jahren entstehenden antibürgerlichen Diskurse radikalisiert und signifikant Brüche mit traditionellen filmischen Erzählweisen und narrativen Modellen inszeniert werden. So widmet sich die Veranstaltung vor allem provokanten und kontrovers diskutierten Filmen des ‚New Hollywood’ und des französischen Films, auch der Neue deutsche Film ist mit einem Beispiel vertreten. Im Fokus sollen die filmischen Gesellschaftsbilder der 70er stehen, mögliche Fragestellungen/ Themen sind 1). in soziokultureller Hinsicht die Darstellungen des Bürgertums, der Jugendkultur und der Generationsverhältnisse, Konstanz und Wandel von Geschlechterrollen, die Thematisierung und Inszenierung von Erotik und Sexualität, Konzeptionen von Gewalt, Kriminalität sowie die Darstellung von Ordnungsinstanzen und Repräsentanten staatlicher Macht; 2). in filmnarratologischer Hinsicht etwa zeittypische neue Inszenierungsweisen.
Jedem Film geht ein kurzes Einführungsreferat voraus, das diesen filmhistorisch kontextualisiert sowie thesenartig wesentliche Aspekte der Filmbedeutung vorbereitet und zur Diskussion stellt. Im Anschluss an die Sitzung findet jeweils eine gemeinsame Diskussion statt. Grundlage sind jeweils die im deutschen Sprach- und Kulturraum rezipierten Synchronfassungen. Die Bereitschaft zur Übernahme von Kurzreferaten wird vorausgesetzt.

Realistische Literatur und filmische Adaption

Gegenstand des Seminars sind Erzähltexte des Literatursystems ‚Realismus’ (ca. 1850-1890) und deren deutschsprachige filmische Adaptionen vom Nationalsozialismus bis zur Gegenwart. Dabei sind zum einen die Merkmale der Texte selbst und deren literarhistorischer Kontext zu bestimmen und zum anderen die spezifischen Funktionalisierungen ‚realistischer’ Konzeptionen in den Bedeutungskonstrukten der Filme. Denn jede Literaturverfilmung ist als ein mediales kommunikatives Produkt einer Kultur als ein eigenständiger ‚Text’ (im Sinne eines ‚Gewebes’ aus Zeichen) zu betrachten, das die Modelle der literarischen ‚Vorbilder’ funktionalisiert, um darüber im Kontext eigenkultureller Diskursformationen Sinn zu produzieren und kulturelle Normen und Werte zu vermitteln. In auffälliger Weise wurden die ‚realistischen’ Weltkonstrukte und Narrationen dabei einerseits bevorzugt für eine Vermittlung nationalsozialistischer Ideologeme genutzt (z.B. in Der Schimmelreiter, Die Geierwally, Opfergang, Immensee u.a.) und andererseits wiederum in zahlreichen DDR-Produktionen von den 1960er Jahren noch bis 1989 zur Verhandlung sozialistischer Lebens- und Denkmodelle herangezogen (Der Schimmelreiter, Der Stechlin, Unterm Birnbaum, Immensee u.v.m.). Im Seminar sollen die Gründe dieser offensichtlichen Affinität ideologisch kontroverser diktatorischer politischer Systeme zu den ‚realistischen’ Literaturvorlagen diskutiert werden. Darüber hinaus werden wir uns auch mit den Verfilmungen der ‚postideologischen’ Ära nach ’89 und der neokonservativen Gegenwart auseinandersetzen.

Abenteuer Adoleszenz: Von der goethezeitlichen Initiationsgeschichte zum Coming of Age-Film der Gegenwart

Initiations’-/‚Bildungsgeschichte’, ‚Coming-of-Age-Story’ oder allgemeiner: ‚Entwicklungsgeschichte’ sind unterschiedliche Bezeichnungen und Genrezuschreibungen für einen der bis in die Gegenwart prominentesten Erzähltypen in der Geschichte narrativer Medien. Er verhandelt das anthropologische Modell einer Schwellenphase des Übergangs von der späten Kindheit/Jugend zum Erwachsenenalter, in dem sich (seit goethezeitlicher Auffassung) die Heranbildung des Subjekts zu einer mehr oder weniger autonomen Persönlichkeit vollzieht, und die mit einem entscheidenden Zugewinn neu erworbener Fertigkeiten, dem Einblick in dem Kind bis dahin nicht zugängliche Wissens- und Erfahrungsbereiche (nicht zuletzt der Sexualität) und somit mit fundamentalen Erkenntnisprozessen einhergeht. Erst mit der kulturellen Aufwertung und romantischen Verklärung von ‚Kindheit’ als etwas unwiederbringlich Vergangenem wurde dieser Übergang auch als eine Verlusterfahrung semantisiert. Die Geschichten erzählen von der Adoleszenz bzw. der Pubertät häufig als einer Zeit der Geheimnisse, des Abenteuers und der Gefahr, in der das Individuum noch nicht auf eine ‚Persönlichkeit’ festgelegt ist und sowohl ‚Selbstfindung’ als auch ‚Selbstverlust’ als Varianten des möglichen Ausgangs bestehen. Denn die ‚Schwelle’, der ‚Übergang’ zwischen zwei Seinsbereichen ist per se ein Raum außerhalb der Ordnung, eine Chrono-Heterotopie des Ungewissen, die das noch im Werden begriffene ‚Individuum’ auf eine Probe stellt.
Eine besondere soziokulturelle Relevanz kommt dem Narrativ insofern zu, als es die Relation von Individuum und Gesellschaft sowie die kulturellen Normen- und Wertehorizonte modellhaft verhandelt: Denn letztlich geht es um die Frage, welche im Kontext der Adoleszenzprozesse zutage geförderten Persönlichkeitsanteile in das Sozialsystem integrierbar sind und welche nicht, was wünschenswertes Sozialverhalten ist und was nicht. Der jeweilige Fokus ist dabei abhängig von den kulturspezifischen Diskursformationen und Prozessen kulturellen Wandels, in denen die Erzählungen produziert wurden: Während mittelalterliche Texte den Schwerpunkt auf die Ordnung legen und die Initiation als symbolisch-rituelle Bekräftigung sozialer Zugehörigkeit inszenieren, fokussiert die Moderne unter dem psychologischen Paradigma stärker auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung. Literatur und Film lassen sich so als kulturelle Speicher rezipieren, denn zwischen welchen kontrahierten Lebensmodellen/Sinnentwürfen sich die adoleszente Person entscheiden muss und wie die semantischen Räume ‚Kindheit’ – ‚Adoleszenz’ und (sozial integrierbares/desintegriertes) ‚Erwachsensein’ sowie ggf. Mentoren- und Manipulatorfiguren je textuell konturiert werden, ist ebenso eine kulturspezifische Setzung wie der Sachverhalt, wann neben den zunächst ausschließlich männlichen Protagonisten auch weibliche ‚diskursfähig’ werden. Somit schließt sich die Frage an, inwiefern sich ‚weibliche’ Initiationsgeschichten von ‚männlichen’ unterscheiden und welche sozialen Rollen den Geschlechtern darüber je zugewiesen werden.